Corona - Geschichte
Herz über Kopf?
«Danke für deinen Besuch», sagte Papa. «Das war kein Besuch, das war ein Nachhausekommen», erwiderte ich etwas wehmütig. Das Nachhausekommen nach einem langen Tag, auch wenn dieser noch nicht zu Ende ist. Für Aussenstehende tönt das vielleicht widersprüchlich, aber genauso sieht im Moment mein Alltag aus. Ich bin ein Mädchen im Alter von 13 Jahren. Mich persönlich gefährdet dieses Virus weniger. Aber es dauerte eine Weile, bis ich verstand, wie viel Verantwortung ich gegenüber allen anderen Menschen der Schweiz trage. Andere in meinem Alter sollten nun einfach zuhause bleiben und möglichst wenig Kontakt zu Menschen, vor allem Menschen der Risikogruppe, haben. Nun, aber was mache ich denn wenn bei mir zuhause jemand lebt, der über 65 Jahre alt ist? Jemand, der durch meine eigene Krankheit in Lebensgefahr gebracht werden könnte? Sollte ich einfach den Kontakt abbrechen? Nicht wirklich eine Option. Oder hat schon mal jemand von euch einfach so den Kontakt zu seinem Vater abgebrochen?
Mein eigentliches Zuhause befindet sich bei meinem Papa. Dort bin ich zur Weit gekommen, nirgendwo anders möchte ich leben. 2014 öffnete sich mir jedoch eine völlig neue Welt, durch die Tatsache, dass meine Mutter umzog und nun anderswo lebt. Schon immer war ich hin- und hergerissen, wo mein wahres Zuhause ist, aber durch die aktuelle Situation wurde mir die Entscheidung so gut wie abgenommen. Als ich erfuhr, dass ich meinen Vater nun eigentlich nicht mehr sehen darf, fühlte ich mich, als würde mir der Boden unter den Füssen weggerissen werden. «Was soll ich denn tun? Ich darf ja auch Papa nicht mehr sehen und nicht mehr zu ihm gehen!», war meine erste Reaktion auf die für mich so erschreckende Nachricht.
Mittlerweile konnten mein Vater und ich uns einigen, dass ich mindestens einmal die Woche bei ihm übernachte. Natürlich ist alles anders. Das Coronavirus hat unseren gesamten Alltag, so wie wir ihn kannten, durcheinander gewirbelt. Auf die anfängliche Umarmung als Begrüssung muss verzichtet werden und das Festnetz darf nicht mehr von mir, sondern nur noch von meinem Vater benutzt werden. Selbstverständlich ist das weder für mich, noch für Papa einfach.
Ich muss zugeben, dass ich auch schon mit dem Gedanken gespielt habe, die verordneten Regeln zu missachten, nur damit die Beziehung zwischen meinem Vater und mir wieder so werden kann wie zuvor. Mein Herz war also kurz davor, die mahnenden Einwände des Kopfes zu ignorieren. In vielen Situationen kann es gut sein, wenn das Herz mit einem durchgeht und die Entscheidungen trifft, aber in so einer wie dieser ganz sicher nicht. Es geht nicht darum, meine Interessen und Wünsche zu befriedigen, sondern die Leben aller Mitmenschen zu schützen. Durch die eigene Gesundheit kann so viel bewirkt werden. Es geht dabei nicht einmal nur um die Menschen, die ich treffe und bewusst schützen will, sondern auch um diejenigen, die im Bus die Knöpfe drücken, welche ich berührt habe.
Und das ist die Message, die ich euch allen auf den Weg geben will.
Passt auf euch auf und gebt die Hoffnung, dass alles einmal wieder besser sein wird, niemals auf.